Nur das Schnurren blieb erhalten
Viele Fasnetsbräuche gerieten in Vergessenheit / Erinnerung an den Oberrheinischen Narrentag vor 45 Jahren

In feierlichem Rahmen eröffneten Bürgermeister Riede, Narrenmeister Erich Müller und Fritz Däschner (von links) vor der alten Rathausfront den ersten Oberrheinischen Narrentag 1965 in Kenzingen, an dem 4000 Narren und Hästräger teilnahmen. Foto: Bildarchiv Göhri
KENZINGEN (BZ). Die Stadt Kenzingen ist nicht nur ein Gemeindewesen mit bemerkenswertem geschichtlichem Hintergrund, sondern mit seinem zähringischen Stadtbild eine Perle im Breisgau. Ihre mittelalterlichen Handwerkszünfte gaben der Stadt einst den repräsentativen Rahmen. Durch das Aufkommen des Karnevals gerieten auch in Kenzingen viele lokale Fasnachtsbräuche in Vergessenheit. Von all dem Überkommenen hielt sich vor dem Zweiten Weltkrieg nur das "Schnurren".
Das Schnurren ist ein ererbter Fasnetsbrauch, den die Üsenberger Narren – meiste vermummte Frauen – in den zahlreichen Gaststätten bis zum heutigen Tag praktizieren. Schnurren äußert sich in liebevollem Necken oder Spötteln.
Ein Flugblatt mit dem Titel "Wegweiser" verkündete am 6. März 1905 eine "schaurige, feudale, piramidale, nervenverwirrende Erstürmung der Wellenbengel behausenden Stadt am Elzstrom". Bei diesem Fasnetsspiel ging es um eine versuchte Erstürmung der Stadt durch die Franzosen im Jahr 1690. So wurde nach hartem Straßenkampf mit karnevalistischer Anmutung und der Gefangennahme des französischen Feldmarschalls Kronié an diesem Märztag der Boden für einen anschließenden, prächtigen Festzug bereitet.
Von der Wiederbelebung der alten Fasnachtsbräuche träumte man seitdem in der alten Amtsstadt von Jahr zu Jahr immer mehr. So liest man im Protokollbuch der Narrenzunft Welle- Bengel Kenzingen von der ersten Zusammenkunft des Gipsermeisters Koffler, Hauptlehrer Emil Meier, des Sparkassenverwalters Karl Götz und des Metzgermeisters Kaspar im Gasthof Krone. Man wollte wieder die Fasnacht feiern wie in vormaligen Zeiten. Die durchgeführten Narrensitzungen endeten mit einem positiven Ergebnis: dem konstituierten Elferrat standen Zunftmeister Hugo Bühler und Zeremonienmeister Franz Schlenker zur Seite. Weitere zehn Narrenräte durften die seidenen Narrenkappen erstmals am Fasnetmändig 1935 als Repräsentanten der wiederbelebten Kenzinger Fasnet bei einem prächtigen Umzug der begeisterten Bevölkerung vorführen. Das folgende Jahr glänzte dann besonders im wieder hell erstrahlten Üsenberger Narrenlicht.
Wie überall im Land feierte man 1939 die letzte Fasnacht vor dem großen Krieg. So vermittelte der Zunftschreiber unter den Jahreszahlen 1940 bis 1947 den Hinweis, "dass die Nachkriegsjahre 1946 und 1947 noch nicht dazu angetan sind, eine wirklich echte Fasnet zu feiern". Erst 1948 schlüpfen die alten Kenzinger Narrengeister wieder aus den Häusern und Gassen.
Am 11. 11. 1947 erfolgte der Startschuss zur Fasnet im kommenden Jahr. So wuchs die Fasnacht wie die Jahresringe an den Bäumen. Als vom 5. bis zum 7. Februar 1965 der Oberrheinische Narrentag in der Narrenhochburg des Unteren Breisgaus mit 4000 anwesenden Häs- und Maskenträgern stattfand, feierte man an diesem Tag auch das 30-jährige Gründungsjubiläum des Verbandes Oberrheinischer Narrenzünfte in Breisach. So erfuhren an diesem Tag die legendären Kenzinger Narrengestalten "Schnurrwiib", "Welle- Bengel" und "Fischerbua" eine endgültige, beachtenswerte Renaissance in höchst feierlichem Rahmen. Und wenn die Kenzinger in ihrem närrischen Übermut die Bleichtäler als Heckenländer apostrophieren, wo sie doch heute noch durch dieses vorderösterreichische Gebiet zum Holzschlagen fahren müssen, sangen die so Angesprochenen doch unter gegenseitigem Augenzwinkern den alten Vers vom "Kenzinger Welle-Bengel, Rebstäcke, Sesli, hän Gras in dea Rewäe und wäsche denäwe und jä, jä"
04. Februar 2010
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.
von: Josef F. Göhri
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